Interview | Bioterra | 2023

Eine Nuss mit Zukunft

Obwohl sie auch bei uns wachsen, kommen die Haselnüsse, die wir im Laden kaufen, aus dem Ausland. Stefan Gerber möchte das ändern. Im Interview erzählt der Jungbauer, warum er sich dem Haselnussanbau verschrieben hat und worauf es dabei ankommt.

Haselnüsse gedeihen auch in der Schweiz bestens. Trotzdem gibt es im Laden kaum Haselnüsse aus Schweizer Anbau zu kaufen. | *Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu*

Haselnüsse gedeihen auch in der Schweiz bestens. Trotzdem gibt es im Laden kaum Haselnüsse aus Schweizer Anbau zu kaufen. | Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu

Stefan Gerber, 34, ist einer der wenigen Landwirte in der Schweiz, die sich am Haselnussanbau versuchen. Beim Spaziergang durch die Plantage erzählt er, was die Hasel so interessant macht, welche Sorten gut funktionieren und was beim Anbau entscheidend ist.

Stefan Gerber, Haseln kennt man eigentlich als üppige Sträucher. Bei Ihnen wachsen die Haselnüsse aber auf Bäumen. Wie kommts?
Genau, das sind Haseln, die auf die Baumhasel Corylus colurna veredelt wurden. Das bringt verschiedene Vorteile mit sich. Zum Beispiel hat man anders als beim Strauch keinen Stockausschlag, also keine Triebe, die aus dem Stumpf austreiben. Das erleichtert die Pflege und auch die Ernte.

Sie haben vor drei Jahren den elterlichen Betrieb übernommen. Warum haben Sie sich für die Haselnussproduktion entschieden?
Ich wusste, dass ich auf Bio umstellen und etwas anderes machen wollte als meine Eltern, weg vom Ackerbau und von der Viehhaltung. Ich hatte mir verschiedene Optionen überlegt, unter anderem Heidelbeeren oder auch Baumnüsse. Haselnüsse hatte ich zunächst nicht auf dem Schirm, weil es diese Kultur in der Schweiz quasi nicht gibt und weil ich kein Fan von Haselnüssen war – die aus dem Supermarkt schmecken mir nicht. Auf den Geschmack gekommen bin ich erst, als ich im Vorfeld meiner landwirtschaftlichen Ausbildung ein Jahr lang beim Haselnusspionier Andreas Gauch gearbeitet habe. Sein Betrieb im aargauischen Niederwil interessierte mich, weil er ein extrem innovativer, experimentierfreudiger Landwirt ist. Er baut neben Haselnüssen auch Kastanien und Cannabis an, produziert Grassamen und hat als Erster in der Schweiz eine Baumschule für Kulturhasel aufgebaut. Bei der Arbeit auf seinem Betrieb habe ich gemerkt, dass der Haselnussanbau eine Wissenschaft für sich ist. Das hat mich gereizt, weil ich mich gerne tief in eine Materie eingrabe.

Was macht die Haselnuss denn so interessant?
Aus Ernährungssicht sind Haselnüsse ein hochwertiges Produkt, sie sind reich an gesunden Omega-3-Fettsäuren, an Ballaststoffen und Proteinen. Zudem machen sie lange satt. Als Biologe finde ich die Hasel botanisch spannend: Es muss einiges stimmen, damit die Bestäubung glückt.

Was genau?
Die Hasel ist einhäusig, sie hat sowohl männliche als auch weibliche Blüten. Da diese aber nicht zeitgleich blühen, kann sich die Hasel nicht selbst bestäuben. Hinzu kommt, dass die weiblichen Blüten den eigenen Pollen und auch den Pollen von genetisch ähnlichen Sorten abstossen. Für eine erfolgreiche Bestäubung braucht es also mehrere Haseln unterschiedlicher Sorten, die genetisch miteinander kompatibel sind und deren weibliche respektive männliche Blüten auch noch zeitgleich blühen. Das ist ein ziemliches Puzzle. Da in der Schweiz bisher kaum Haselnüsse angebaut werden – es gibt nicht einmal ein Dutzend Produzenten – wissen wir noch viel zu wenig über die Sorten, die mit unserem Klima und unseren Standortbedingungen gut klarkommen, und welche davon bei der Bestäubung miteinander funktionieren.

Stefan Gerber gehört zu den Pionieren im Schweizer Haselnussanbau. | *Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu*
Stefan Gerber gehört zu den Pionieren im Schweizer Haselnussanbau. | Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu

Sie sind gleich aufs Ganze gegangen, von null auf knapp 2000 Haselnussbäume. Als Einsteiger in der Landwirtschaft ein solches Experiment zu wagen, ist ziemlich mutig.
Das war eigentlich nicht so geplant. Im Herbst 2020 sollten einige von Andreas Gauchs Jungbäumen ins Ausland exportiert werden, doch das Vorhaben scheiterte in letzter Minute. Da die Bäume möglichst schnell wieder eingepflanzt werden mussten, fragte Andreas mich, ob ich sie übernehmen möchte. Ich überlegte nicht lange und packte die Gelegenheit beim Schopf. Im Wissen, dass insbesondere die ersten Jahre eine Herausforderung werden, weil ich wenig einnehme und viel investieren muss, nicht nur in den Anbau selber, sondern vor allem in die Forschung und den Wissensaufbau. Deshalb bin ich froh, dass ich mit Crowd Container einen guten Partner gefunden habe, der mich finanziell und beratend dabei unterstützt.

Worin unterstützt Sie Crowd Container konkret?
Auf verschiedenen Ebenen. Zum einen leisten sie einen Beitrag an Massnahmen zur Biodiversitätsförderung wie etwa die Nützlingsstreifen, die ich diesen Frühling um die Anlage herum angesät habe. Bei verschiedenen Arbeiten, wie der Pflanzung einer Wildhecke, konnte ich auf die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Freiwilliger aus ihrer Community von Crowd Container zählen. Zudem wird mir beispielsweise die Arbeitszeit, die ich für die Blütenerhebung aufwende, bezahlt. Ausserdem haben wir im Frühling 2022 gemeinsam einen Sortengarten aufgebaut. Und zudem bekomme ich in der Öffentlichkeitsarbeit Unterstützung.

Was ist das Ziel des Sortengartens?
Der Sortengarten ist ein Experimentierfeld. Ich möchte herausfinden, welche Sorten miteinander kompatibel sind, bei uns gut gedeihen, robust gegenüber Krankheiten und Schädlingen sind und einen guten Ertrag mit guten Nusseigenschaften geben. Meine Beobachtungen halte ich fest. Zum Beispiel führe ich eine Liste, in der die Blühzeitpunkte der verschiedenen Sorten und deren genetische Kompatibilitäten ersichtlich sind. Meine Vision ist es, mit meinem Wissen und meiner Erfahrung anderen Produzenten den Weg zu ebnen und so die Haselnuss als neue Kultur in der Schweiz zu etablieren. Ein weiteres Ziel, das allerdings noch etwas weiter in der Ferne liegt, ist es, mich mit der Züchtung robuster und krankheitsresistenter Haselsorten zu beschäftigen.

«Bisher ist die Haselnuss bei uns in der Schweiz als Nahrungspflanze missachtet worden. Dabei wäre sie ideal zum Kultivieren.»

Wie viele Haselsorten kultivieren Sie aktuell?
Insgesamt sind es 53 Sorten. Sie stammen aus Europa, Mittelasien und Nordamerika. Darunter sind sowohl Industrieals auch Tafelsorten. Industriesorten wie die italienische Tonda di Giffoni – die Nutella-Nuss – weisen einen höheren Fett- und Linolsäuregehalt auf und eignen sich primär für die Ölproduktion. Tafelsorten wie die amerikanische Ennis werden wegen des geringeren Ölgehalts nicht so schnell ranzig und sind daher länger haltbar.

Über 50 verschiedene Haselnusssorten wachsen auf Stefan Gerbers Betrieb im Zürcherischen Mettmenstetten. | *Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu*
Über 50 verschiedene Haselnusssorten wachsen auf Stefan Gerbers Betrieb im Zürcherischen Mettmenstetten. | Bild: Crowdcontainer/Nicolas Fojtu

Haben Sie im Sortengarten auch Schweizer Sorten?
Nein. Es gibt leider keine mir bekannten Schweizer Zuchtsorten, sondern nur Wildsorten. Die Haselnuss ist bei uns als Nahrungspflanze bisher komplett missachtet worden. Das finde ich erstaunlich – und gleichzeitig auch schade, weil es sich ja um eine einheimische Pflanze handelt, die deshalb grundsätzlich wirklich prädestiniert wäre für die Kultivierung in unseren Breitengraden.

Können Sie schon sagen, welche Sorten sich besonders gut machen?
Bei jenen im Sortengarten noch nicht, weil sie erst ein Jahr stehen. Auch bei denjenigen in der Anlage ist es noch etwas früh, um Bilanz zu ziehen, die Bäume sind ja erst im zweiten Standjahr. Aber gewisse Tendenzen zeichnen sich ab. Die amerikanische Sorte Butler beispielsweise ist bei mir sehr anfällig für Milben, obwohl ich gehört habe, dass sie andernorts recht resistent ist. Sie scheint mit den hiesigen Bedingungen nicht gut klarzukommen. Die Hallesche Riesen, eine alte deutsche Sorte, die im 17. Jahrhundert in einem Kloster gezogen wurde, hat sich bisher hingegen als sehr robust gegen alles möglich erwiesen, dafür fällt ihr Ertrag etwas geringer aus. Besonders gut gemacht haben sich bis jetzt auch die niederländische Emoa und die französische Corabel – die Pflanzen sind robust und gesund, die Erträge gut und die Nüsse gross und sehr schmackhaft.

Wie anfällig ist die Haselnuss gegenüber Krankheiten und Schadinsekten?
Eine Sorglos-Kultur sind Haselnüsse sicher nicht. Die grössten Schäden verursachen bei uns der Haselnussbohrer, die Marmorierte Baumwanze sowie einige noch nicht vollständig identifizierte Pilzkrankheiten. Diese Schädlinge und Krankheitserreger können zwar den Ertrag bedeutend schmälern, die Pflanzen überleben aber in der Regel. Ganz anders sieht es beim Östlichen Haselnussbrand aus, einem in den USA verbreiteten Pilz, der die ganze Pflanze dahinrafft. Da mache ich mir natürlich schon Sorgen, dass dieser Pilz früher oder später zu uns eingeschleppt wird. Bei mir in der Anlage war letztes Jahr vor allem die Marmorierte Baumwanze problematisch. Sie saugt die Nüsse im unreifen, grünen Stadium an und schafft damit ein Einfallstor für Pilzkrankheiten.

«Man sollte mindestens zwei Haseln verschiedener Sorten pflanzen, die genetisch zueinander passen und gleichzeitig blühen.»

Was unternehmen Sie gegen die erwähnten Schadinsekten und Krankheiten?
In den ersten zwei Jahren habe ich nichts gemacht. Dazu muss man wissen, dass es in der Schweiz kaum Pflanzenschutzmittel gibt, die spezifisch für die Haselnusskultur zugelassen sind – denn die Hasel ist landwirtschaftlich bisher ja nicht relevant und erst seit diesem Jahr offiziell als Obstkultur anerkannt. Deshalb haben wir Haselnussproduzenten uns unter der Koordination des landwirtschaftlichen Beratungsdienstes Inforama zusammengetan und führen diese Saison einen Pflanzenschutzmittel-Versuch mit verschiedenen Präparaten von Biocontrol Andermatt durch. In meiner Anlage teste ich dieses Jahr Weissöl gegen Knospengallmilben sowie Netzschwefel und Kupfer gegen Pilzbefall und Bakterienkrankheiten. Bei den anderen Betrieben kommen unter anderem Lupinenextrakt und Pheromonfallen zum Einsatz. Wie die verschiedenen Mittel abgeschnitten haben, kann man jetzt noch nicht sagen. Sicher ist, dass auch in Sachen Pflanzenschutz beim Haselnussanbau noch viel Forschungsbedarf besteht.

Wenn man im Garten Haselnüsse anbauen will: Was gilt es da zu beachten?
Wer bei der Bestäubung auf Nummer sicher gehen und sich nicht auf Haselsträucher in der Umgebung verlassen will, sollte mindestens zwei Haseln pflanzen – nach Möglichkeit verschiedene Sorten, die genetisch zueinander passen und gleichzeitig blühen. Ansonsten ist die Hasel eine sehr dankbare, anspruchslose Pflanze. Sie mag nährstoffreiche Erde, kommt aber auch mit sandigen und steinigen Böden zurecht. Lehmige, schwere Böden bekommen ihr hingegen nicht so, da entwickelt sie Mangelerscheinungen in der Form von Chlorosen. An vollsonnigen Standorten gedeiht sie ebenso wie im Halbschatten, aber je sonniger sie steht, umso mehr Nüsse bildet sie aus. Was man nicht vergessen darf: Haseln sind sehr wüchsig. Ein Haselstrauch kann je nach Sorte 4 bis 5 Meter hoch und ebenso breit werden. Wer nicht so viel Platz hat, sollte eine weniger wüchsige Sorte wählen und diese jährlich unter Schnitt halten.

Welche Sorten eignen sich denn am besten für den Garten?
Das kommt darauf an, was einem wichtig ist. Optisch sind rotblättrige Sorten wie die Rote Zeller eine Attraktion. Wenn der Ertrag im Vordergrund steht, kann ich die französische Corabel mit ihren grossen Früchten empfehlen oder die ebenfalls grossfruchtige Hallesche Riesen die wenig anfällig ist für Pilzkrankheiten. Hat es nicht so viel Platz, ist die etwas weniger wüchsige italienische Tonda di Giffoni eine gute Wahl. Noch platzsparender und ebenfalls ein Hingucker ist die Korkenzieherhasel Contorta mit ihren gekringelten Zweigen – sie macht zwar weniger Nüsse, ist aber ein sehr guter Bestäuber, und ihren Schnittabfall kann man später im Frühjahr noch als Osterbaum verwenden.

Welche Pflege braucht die Hasel?
Man sollte sie jedes Jahr schneiden, lieber mehr als weniger, da kann man wirklich Mut haben. Haseln brauchen Licht und Luft für einen guten Ertrag und sind dann weniger anfällig gegenüber Pilzen. Beim Düngen ist es hingegen umgekehrt: Da ist weniger mehr.

«Die Haselnuss kommt mit heissen und trockenen Bedingungen zurecht.»

Und wie schneidet die Hasel im Hinblick auf den Klimawandel ab?
Mit der Haselnuss wären Landwirte für den Klimawandel gut gewappnet. Denn sie kommt mit heissen und trockenen Bedingungen bedeutend besser zurecht als andere Kulturen mit einem hohen Wasserbedarf wie etwa Kirschen. Meine Haselbäume haben den letzten Sommer, der ja sehr heiss und trocken war, gut überlebt – und das, obwohl sie noch jung sind und mit dem verhagelten Sommer 2021 bereits eine extreme Saison hinter sich hatten. Das stimmt mich zuversichtlich.

Heuer ist Ihr drittes Jahr als Haselnussbauer. Wie viel Ertrag geben Ihre Haselbäume?
Bisher noch fast keinen, weil sie noch jung sind. Letztes Jahr haben wir total nur etwa zwei, drei Kilo geerntet, dieses Jahr rechne ich mit 50 bis 100nbsp;Kilo. Es wird noch vier, fünf Jahre dauern, bis wir beim vollen Ertrag sind. Ein ausgewachsener Haselnussbaum liefert etwa zwei Kilo Nüsse pro Jahr. Für die ganze Anlage wären das dann drei bis vier Tonnen Ertrag pro Jahr.

Wissen Sie schon, was Sie dereinst aus den Nüssen machen werden?
Ich weiss noch nicht, ob ich die Nüsse mit Schale oder geknackt anbieten werde, oder einen Teil davon vielleicht auch als Haselnussöl. Und auch nicht, wie viel ich dafür verlangen soll. Es fehlen Referenzwerte, weil es in der Schweiz bisher keine Haselnussproduktion gibt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, einen Teil meiner Nüsse über Crowd Container zu vertreiben. Oder sie auch direkt an kleinere Schokoladenhersteller oder Bäckereien zu verkaufen – ich habe vereinzelte Anfragen von solchen Betrieben aus der Region, obwohl noch gar kein Produkt zum Verkauf steht. Auch das stimmt mich zuversichtlich, dass ich mit der Haselnuss auf dem richtigen Weg bin – trotz all der Hürden, die es bei neuen Kulturen zu überwinden gibt.


Dieses Interview erschien im September 2023 im Magazin Bioterra.

Über die Autorin

Schreiben, zuhören, recherchieren, hinterfragen, Geschichten widergeben, Zusammenhänge verstehen und erklären: Das mache ich schon seit bald 20 Jahren. Als Geojournalistin verbinde ich das journalistische Handwerk mit dem Hintergrundwissen, das ich mir im Geografiestudium und darüber hinaus im Bereich Umwelt und Naturwissenschaft angeeignet habe. Wenn ich nicht recherchiere oder schreibe, bin ich mit meinem Hund in der Natur, backe Sauerteigbrot, unterrichte Pilates oder fotografiere, am liebsten Insekten.

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Isabel Plana | Bild: Florian Schulz

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