Wissenschaftsartikel | Eawag | 2022

Fluorid im Grundwasser: Erste globale Karte aller Risikogebiete

Als Zusatz in Zahnpasta schützt es unsere Zähne vor Karies. Doch wenn Fluorid in der Natur in grösseren Mengen vorkommt und sich im Grundwasser anreichert, kann es zu einer Gefahr für unsere Gesundheit werden. Erstmals haben Forschende der Eawag eine detaillierte Karte der globalen Fluoridbelastung im Grundwasser erstellt und aufgezeigt, welche Weltregionen besonders betroffen sind.

Eine Frau schöpft Wasser aus einem Wasserloch in der Demokratischen Republik Congo. | Bild: Unicef/Pierre Hotz

Eine Frau schöpft Wasser aus einem Wasserloch in der Demokratischen Republik Congo. | Bild: Unicef/Pierre Hotz

Nicht jeder Schadstoff ist menschengemacht. Manche kommen von Natur aus im Gestein und damit auch im Grundwasser vor. So etwa Fluorid, das in grösseren Mengen aufgenommen toxisch wirkt und dazu führt, dass Knochen und Gelenke degenerieren. Neben der Geologie ist vor allem das Klima ein entscheidender Faktor für die Fluoridanreicherung im Grundwasser. Besonders hoch sind die Konzentrationen in trockenen, heissen Regionen: Zum einen weil höhere Temperaturen die Verwitterung und damit die Auflösung von Fluorid aus dem Gestein begünstigen, und zum anderen, weil das Fluorid länger im Grundwasser verbleibt, da sich dieses aufgrund der geringen Niederschlagsmengen nur sehr langsam erneuert. Die Vermutung liegt nahe, dass sich mit dem Klimawandel und der fortschreitenden Wüstenbildung in vielen Teilen der Erde auch das Fluorid‑Problem verschärfen könnte.

Erschwerend hinzu kommt, dass Fluorid oft unentdeckt bleibt, weil es geruchlos und unsichtbar ist. Nur Wasseranalysen geben Aufschluss über zu hohe Konzentrationen. In vielen Ländern des globalen Südens wird das Grundwasser jedoch kaum getestet, und nicht wenige Menschen beziehen das Wasser direkt von einer Grundwasserpumpe. «Die Risikogebiete sind daher nicht flächendeckend bekannt, es gibt viele Lücken», sagt Joel Podgorski, der bei der Eawag zu Wasserressourcen und Trinkwasser forscht. «Diese Lücken wollten wir mit unserer Arbeit schliessen, um eine Grundlage für ein besseres Grundwasser‑Monitoring zu schaffen.»

Machine-Learning schliesst Wissenslücken

Dazu haben Joel Podgorski und sein Kollege Michael Berg ein auf Machine‑Learning basiertes Modell entwickelt. Ausgehend von bestimmten Bodeneigenschaften sowie topografischen, geologischen und klimatischen Faktoren berechnet dieses Modell die Wahrscheinlichkeit, mit der der Fluoridgehalt über dem gesundheitlich relevanten Grenzwert von 1,5 Milligramm pro Liter liegt. Voraussetzung dafür, dass das Modell tatsächlich richtig funktioniert, sind genügend Messdaten, um den Computeralgorithmus zu trainieren. «Unser erster Versuch vor einigen Jahren scheiterte noch daran, dass wir zu wenig Messdaten für ein verlässliches Modell hatten», erzählt Podgorski. Mittlerweile würden aber immer mehr Länder ihre Daten öffentlich zugänglich machen. Deshalb konnten die beiden Forscher eine Datenbank von 400'000 Fluoridmessungen im Grundwasser erstellen – den bisher grössten globalen Datensatz.

Globale Karte der Fluoridkonzentration im Grundwasser | Karte: Joel Podgorski/Eawag
Die Karte zeigt flächendeckend, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Fluoridkonzentration im Grundwasser über dem von der WHO festgelegten Grenzwert liegt. | Karte: Joel Podgorski/Eawag

Das Resultat ist eine Karte, die flächendeckend mit einer hohen Auflösung von 250 Metern aufzeigt, wo das Risiko einer Fluorid‑Grenzwertüberschreitung besteht. «Wir sehen, dass die Konzentrationen etwa im südlichen Afrika, in Zentralasien, China und der Mongolei zu hoch sein dürften. In Ländern, in denen das Grundwasser bisher kaum getestet wird», sagt Podgorski. In der Schweiz und Europa ist das Risiko gering. «Unsere Ergebnisse liefern somit neue Informationen für Forschende und Behörden vor Ort und geben einen wichtigen Anstoss, das Grundwasser in den betroffenen Regionen künftig genauer unter die Lupe zu nehmen und Massnahmen zu ergreifen, etwa Kampagnen zur Sensibilisierung der Bevölkerung oder das Entfluoridieren von Trinkwasser.» Überrascht hat Podgorski, dass das Modell auch für Gebiete im Nordosten Brasiliens eine hohe Fluoridkonzentration voraussagt. «Das passt nicht ins übliche Muster, wonach vor allem trockene Gebiete hohe Fluoridwerte im Grundwasser aufweisen.» Ein interessantes Resultat also, das dazu anregt, die Situation in dieser Region in einer künftigen Studie genauer zu untersuchen – so wie das Podgorski und weitere Forschende jüngst bereits für Ghana und Pakistan gemacht haben.

Viele Menschen betroffen, viele Fragen offen

Nebst den Risikogebieten haben die beiden Forscher auch berechnet, wie viele Menschen weltweit durch die Fluoridbelastung gefährdet sind. Dazu haben sie nicht nur Bevölkerungszahlen beigezogen, sondern auch Daten zum Wasserkonsum berücksichtigt. Denn ob Fluorid problematisch ist, hängt letztlich davon ab, woher die Menschen ihr Trinkwasser beziehen, ob es aufbereitet aus der Leitung kommt oder direkt von einer Grundwasserpumpe. Die Berechnung ergab, dass potenziell rund 180 Millionen Menschen weltweit fluoridbelastetem Grundwasser ausgesetzt sind. Und zwar fast ausschliesslich in Asien und Afrika.

Karte der Weltregionen, in denen die Bevölkrung mit Fluorid belastetes Grundwasser konsumieren. | Karte: Joel Podgorski/Eawag
Zu hohe Fluoridkonzentrationen sind nur dort eine Gefahr, wo Menschen unbehandeltes Trinkwasser von Brunnen und Grundwasserpumpen beziehen. In Australien ist niemand gefährdet, trotz hoher Fluoridwerte im Grundwasser. In Afrika und Asien hingegen sind insgesamt über 170 Millionen Menschen betroffen. | Karte: Joel Podgorski/Eawag

Inwiefern das Fluorid aus dem Grundwasser seinen Weg in landwirtschaftliche Erzeugnisse und damit in Lebensmittel findet, wie es etwa mit dem Schwermetall Arsen bei Reis der Fall ist, sei bisher noch wenig erforscht. «Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Aspekte im Zusammenhang mit Fluorid noch ungeklärt sind», sagt Podgorski. «Da besteht noch viel Forschungsbedarf. Umso mehr, als dass der Klimawandel die Fluoridbelastung in vielen Regionen verschärfen könnte. Ich denke, unsere Karte schafft nicht nur eine wichtige Grundlage für Präventivmassnahmen, sondern auch für weiterführenden Forschungsfragen.»


Dieser News-Beitrag erschien im August 2022 auf der Website des Forschungsinstituts Eawag. Titelbild: Unicef/Pierre Hotz

Über die Autorin

Schreiben, zuhören, recherchieren, hinterfragen, Geschichten widergeben, Zusammenhänge verstehen und erklären: Das mache ich schon seit bald 20 Jahren. Als Geojournalistin verbinde ich das journalistische Handwerk mit dem Hintergrundwissen, das ich mir im Geografiestudium und darüber hinaus im Bereich Umwelt und Naturwissenschaft angeeignet habe. Wenn ich nicht recherchiere oder schreibe, bin ich mit meinem Hund in der Natur, backe Sauerteigbrot, unterrichte Pilates oder fotografiere, am liebsten Insekten.

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Isabel Plana | Bild: Florian Schulz

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