Porträt | Bioterra | 2022

Die Ökologin mit der Vogelperspektive

Sie schaut den Pflanzen von weit weg auf die Blätter: Anna Schweiger, Ökologin und Spezialistin für Fernerkundung an der Universität Zürich, untersucht mithilfe von Luftbildern und Satellitenaufnahmen, wie sich Vegetation und Biodiversität weltweit verändern.

Anna Schweiger, Ökologin und Spezialistin für Fernerkundung. | Bild: Stefan Walter, Bioterra

Anna Schweiger, Ökologin und Spezialistin für Fernerkundung. | Bild: Stefan Walter, Bioterra

Manchmal muss man die Dinge mit mehr Abstand betrachten, um sie besser zu verstehen. Genau das macht Anna Schweiger. Sie untersucht die Biodiversität und die Ökosysteme der Erde aus bis zu 600 Kilometern Höhe, mithilfe von Satelliten und Flugzeugen. «Hätte mir das jemand vor 20 Jahren gesagt, ich hätte es wahrscheinlich nicht geglaubt», sagt sie.

Über Fernerkundung, wie die Beobachtung und Vermessung der Erde aus dem Weltraum und der Luft genannt wird, wusste sie in ihrer Jugend nicht viel. Wohl aber interessierte sie sich für Tiere und Pflanzen. Als Tochter eines Biologen und einer Mathematiklehrerin wuchs Anna Schweiger in einem kleinen Dorf in Kärnten auf, dem südlichsten Bundesland Österreichs, das für seine Berg- und Seenlandschaften bekannt ist. «Wir hatten einen grossen Garten mit einem kleinen Waldstück. Auf Strohballen züchtete mein Vater Pilze, und in seinem Forscherdrang verwandelte er immer mal wieder Teile des Gartens in ein Versuchsfeld», erinnert sich die 38‑Jährige. Sie hatte das Forschergen von ihm geerbt und entschied sich, ebenfalls Biologie zu studieren, obwohl der Vater ihr davon abriet. «Er meinte zu mir, ‹du wirst das Biologiestudium lieben, aber du wirst hier keinen Job als Wissenschaftlerin finden›.» Er sprach aus eigener Erfahrung. Anders als ihr Vater ging Anna Schweiger deshalb nach dem Studium ins Ausland, um ihren Traum, Forscherin zu werden, zu verwirklichen.

Von den Steinböcken zur Fernerkundung

2012 begann sie an der Universität Zürich ihr Doktorat – und entdeckte dabei das Potenzial der Fernerkundung. Thema ihrer Forschungsarbeit war das Fressverhalten von Steinbock, Gämse und Rothirsch im Schweizer Nationalpark. «Wir hatten einzelne Tiere mit GPS‑Sendern ausgerüstet und beobachteten ihre Bewegungen. Um zu wissen, was sie fressen, musste ich die Fressplätze aufsuchen und die Pflanzen vor Ort bestimmen. Je nach Gelände war dies aber nicht immer möglich.» So kam die Idee, die Pflanzenarten in dem Gebiet aus der Luft zu erfassen, vom Kleinflugzeug aus mit einem Spektrometer.

Ein Spektrometer misst die von einem Gegenstand reflektierte Strahlung, wobei diese in den verschiedenen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums unterschiedlich hoch ist, je nach Struktur und chemischer Zusammensetzung des Gegenstands. Das Molekül Chlorophyll etwa reflektiert vor allem den grünen Bereich des sichtbaren Lichts – deshalb erscheinen Pflanzen in unseren Augen mehrheitlich grün. Vergleicht man die Strahlungsprofile verschiedener Arten und Individuen miteinander, treten aber Unterschiede zu Tage. «Das Spektrum von Pflanzen variiert, je nach dem wie dick ihre Zellwände sind, wie hoch ihr Wassergehalt ist, welche Stoffe sie enthalten und ob sie wachsige oder behaarte Blätter haben, um nur einige Faktoren zu nennen», erklärt Anna Schweiger. Das Spektrum ist wie ein Fingerabdruck: einzigartig.

Spektrum verrät Art und Gesundheitszustand

Mit den entsprechenden Referenzdaten lassen sich aus den Aufnahmen eines Spektrometers Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften identifizieren. Man kann sogar gesunde von kranken Pflanzen unterscheiden. «Wenn Pflanzen gestresst sind, bilden sie mehr Lignin, produzieren weniger Zucker und schütten vermehrt Tannin als Abwehrstoff aus. Diese Veränderung zeigt sich in den Spektralwerten.» Im US‑Bundesstaat Minnesota, wo Anna Schweiger nach ihrem Doktorat forschte, bedroht eine aggressive Pilzkrankheit die ökologisch wertvollen Eichensavannen. «In den Spektrometerdaten von Luftbildern konnten wir die infizierten Bäume ausmachen, lange bevor sie krank aussahen. Diese frühzeitige Erkennung ermöglicht es, Massnahmen zu ergreifen, um den Pilzbefall einzudämmen.»

«Im Feld kann ich nur Teile eines Gebiets untersuchen. Satellitendaten hingegen liefern uns flächendeckend lückenlose Informationen zur Vegetation.»

Seit 2020 forscht Anna Schweiger wieder in der Schweiz, in der Fernerkundungsgruppe der Universität Zürich. In ihrer jüngsten Arbeit konnte sie zeigen, wie die Biodiversität mithilfe von Spektrometern an Bord von Satelliten langfristig überwacht werden kann. «Wenn ich ins Feld gehe, kann ich nur einzelne Flächen eines Gebiets untersuchen und nur über einen begrenzten Zeitraum. Satellitendaten liefern uns hingegen flächendeckend lückenlose Informationen zur Vegetation.» Und das nicht nur einmal, sondern alle paar Tage aufs Neue, weil der Satellit unentwegt um die Erde kreist. So lässt sich nachvollziehen, wie sich die Vegetation verändert und wo die Artenvielfalt überall abnimmt.

Manchmal geht Anna Schweiger aber auch wieder ganz nah ran, für die Feldforschung oder während der Freizeit auf Streifzügen durch die Natur. Am liebsten sind ihr Gräser. «Sie faszinieren mich, weil sie so filigran und doch robust sind. Ausserdem sind Graslandschaften enorm artenreich. Ein alpiner Rasen steht dem Regenwald in nichts nach.»


Dieses Porträt erschien im November 2022 im Magazin Bioterra. Titelbild: Bioterra/Stefan Walter

Über die Autorin

Schreiben, zuhören, recherchieren, hinterfragen, Geschichten widergeben, Zusammenhänge verstehen und erklären: Das mache ich schon seit bald 20 Jahren. Als Geojournalistin verbinde ich das journalistische Handwerk mit dem Hintergrundwissen, das ich mir im Geografiestudium und darüber hinaus im Bereich Umwelt und Naturwissenschaft angeeignet habe. Wenn ich nicht recherchiere oder schreibe, bin ich mit meinem Hund in der Natur, backe Sauerteigbrot, unterrichte Pilates oder fotografiere, am liebsten Insekten.

E-Mail / LinkedIn

Isabel Plana | Bild: Florian Schulz

Weitere Arbeiten

Porträt

Den Schnecken auf der Spur

Was kriecht denn da? Estée Bochud weiss es – oder sie findet es raus.

Lesen

Interview

Vergessene Quellen

Am Anfang des Wasserhahns war ein Ökosystem.

Lesen

Alle Arbeiten

Weitere Arbeiten

Porträt

Den Schnecken auf der Spur

Was kriecht denn da? Estée Bochud weiss es – oder sie findet es raus.

Lesen

Interview

Vergessene Quellen

Am Anfang des Wasserhahns war ein Ökosystem.

Lesen

Alle Arbeiten