Der Pizzo Cengalo im Bergell, der «Spitze Stei» im Berner Oberland und der Hang ob dem Bündner Dorf Brienz/Brinzauls haben eines gemeinsam: Seit Jahren in Bewegung, sind sie eine Gefahr für Mensch und Infrastruktur. Deshalb werden sie rund um die Uhr überwacht. Zusätzlich werden diese Hänge regelmässig mit einem Laser‑Scanner vermessen. Dieses sogenannte LIDAR‑Gerät tastet die Erdoberfläche auf einem regelmässigen Raster ab. Für jeden erfassten Punkt im Gelände wird die Laufzeit des Laserstrahls in eine Distanz umgerechnet. Aus der Gesamtheit dieser Messpunkte, der sogenannten Punktwolke, lässt sich anschliessend ein Modell der Geländeoberfläche berechnen. Vergleicht man die zu verschiedenen Zeitpunkten gemessenen Punktwolken miteinander, werden Veränderungen im Gelände erkennbar. Das übernimmt natürlich der Computer und ist alles andere als trivial. Es gibt verschiedene Methoden, die Punktwolken zu vergleichen und die Differenzen zwischen ihnen zu berechnen. Je nach Forschungsfrage wird ein anderer Ansatz gewählt.
Das Problem: Keine der gängigen Methoden bildet die Bewegungs- und Deformationsprozesse im Hang ganzheitlich und dreidimensional ab. Sie zeigen zwar, dass und mit welcher Geschwindigkeit sich die Oberfläche verändert hat, aber nicht, wie dies geschieht. «Eine Aussage darüber zu treffen, wie genau sich die Gesteinsmassen deformieren – ob sie rutschen, sacken, auseinanderreissen oder kippen – und wie diese Prozesse in den unterschiedlichen Bereichen des Hangs zusammenspielen, war bisher oft mit grösseren Unsicherheiten verbunden», sagt Robert Kenner, Mitarbeiter der Forschungseinheit Alpine Umwelt und Naturgefahren am SLF. Diese Informationen wären für das Gefahren‑Management jedoch sehr wertvoll. Deshalb weckte ein kürzlich am Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich entwickelter Algorithmus zur Analyse von Punktwolken Robert Kenners Interesse.
Hangbewegungen in 3D
Mit der neuartigen Methode lässt sich nahezu jedem Punkt ein 3D‑Deformationsvektor zuordnen. Man kann also genau sagen, wie die einzelnen Punkte ihre Lage verändert haben und daraus die Deformations- und Bewegungsprozesse in verschiedenen Bereichen des Hangs ableiten. «Das Interessante an diesen 3D‑Deformationsvektoren ist ausserdem, dass wir daraus in einigen Fällen die Gleitflächen modellieren können.» Jene im Untergrund verborgenen Schichten also, auf denen die Erd- und Gesteinsmassen ins Rutschen kommen. Den um das Gleitflächenmodell ergänzten Algorithmus haben Kenner und sein Projektteam an den Beispielen Pizzo Cengalo, «Spitze Stei» und Brienzer Rutsch getestet – mit teils unerwarteten Ergebnissen.
Im Fall Brienz/Brinzauls, wo sich 1878 ein grosser Bergrutsch ereignete, ging man lange davon aus, dass es sich um einen durchgehenden Rutschprozess handelt. «Im oberen und unteren Teil der Instabilität hat unsere Analyse das Rutschen bestätigt. Dazwischen jedoch konnten wir keine Gleitfläche nachweisen. Stattdessen deuten unsere Daten hier auf einen Kippprozess hin.» Bohrungen, die der Kanton kurz darauf im Gelände machte, bekräftigten die Ergebnisse der SLF‑Forscher, dass keine durchgängige Gleitfläche vorhanden ist.
Test bestanden
Die Ergebnisse ihrer Studie waren so überzeugend, dass Robert Kenner und seine Kollegen bereits dabei sind, die neue Methode ins laufende Gefahren‑Monitoring‑Programm zu integrieren. «Die 3D‑Analyse der Punktwolke bringt einen erheblichen Informationsgewinn für das Verständnis von Bewegungs- und Deformationsprozessen in Felshängen, und das wiederum verbessert die Gefahrenbeurteilung entscheidend», sagt Kenner. Um die Methode und insbesondere das Gleitflächenmodell auch unter anderen Gegebenheiten zu validieren, werden die Forscher diese in naher Zukunft auch an weiteren Standorten testen.