Porträt | Bioterra | 2024

Er weiss, was Wildbienen wollen

Der Landschaftsarchitekt und Tierökologe André Rey hat sich dem Schutz der Wildbienen verschrieben. Mit der Web-Applikation «Bee-Finder», die sein Verein IG Wilde Biene entwickelt hat, findet man schnell und einfach heraus, welche Wildbienenarten am eigenen Wohnort vorkommen – und mit welchen Pflanzen man sie fördern kann.

Unten rauschen Züge vorbei, oben summen Wildbienen: André Rey bei der Feldarbeit auf einem Hausdach am Gleisfeld des Zürcher Hauptbahnhofs. Bild: Stefan Walter/Bioterra

Unten rauschen Züge vorbei, oben summen Wildbienen: André Rey bei der «Feldarbeit» auf einem Hausdach am Gleisfeld des Zürcher Hauptbahnhofs. | Bild: Stefan Walter/Bioterra

Mitten im Zürcher Langstrassenquartier befindet sich André Reys Büro. In dieser von Asphalt und Verkehr, Partymeile und Milieu geprägten Umgebung würde man einen Ökologen, einen Naturmenschen wie ihn, nicht erwarten. «Ich bin beruflich so oft alleine draussen in der Natur, da tut es auch mal ganz gut, mitten in der Stadt unter Menschen zu sein», sagt er. «Ich mag diesen Kontrast.» Der urbane Raum habe ausserdem viel mehr Natur zu bieten, als man auf den ersten Blick meinen könnte. «Es gibt über 200 Arten von Wildbienen in der Stadt Zürich – mehr als in manch ländlicher Gegend.»

Ebendort ist André Rey aufgewachsen, in einem verschlafenen Dorf zwischen Zürich und Winterthur. Im Gegensatz zur Nachbarschaft mit ihren herausgeputzten, von Thujahecken gesäumten Gärten war sein Elternhaus von einem wilden Naturgarten umgeben. Auch klein André tanzte aus der Reihe. «Während die anderen Kinder auf der Schaukel spielten, habe ich in den Büschen nach Käfern gesucht.» Er hatte andere Interessen. Und er war ein Träumer. «Ich war kein guter Schüler. Lieber habe ich aus dem Fenster geschaut und die Vögel in den Bäumen beobachtet, als mich auf den Unterricht zu konzentrieren.» Weil er schon immer etwas mit Natur machen wollte, absolvierte er eine Lehre zum Landschaftsgärtner. «Ich merkte allerdings schnell, dass das mit Natur, so wie ich es mir vorstellte, nur wenig zu tun hat.» Das gab ihm die nötige Motivation, doch nochmals die Schulbank zu drücken. Er entschied sich fürs Landschaftsarchitekturstudium an der Fachhochschule Rapperswil. «Landschaftsarchitektur umfasst Gestaltung, Technik und Ökologie. Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich auf Ökologie spezialisieren würde. Dass ich aber auch viel über planerische und technische Aspekte gelernt habe, war beruflich sehr nützlich.»

Nach dem praxisnahen Studium machte sich André Rey direkt selbständig. Seither hat der 53-Jährige im Auftrag von Bund, Kantonen, Gemeinden und Firmen zahlreiche Artenschutzprojekte umgesetzt, Massnahmen zur Biodiversitätsförderung erarbeitet, Vorkommen und Verbreitung diverser einheimischer Tierarten kartiert – von Amphibien und Reptilien über Vögel bis zu Insekten. «Für die SBB habe ich im Gleisfeld vor dem Zürcher Hauptbahnhof im Abstand von 14 Jahren alle vorkommenden Tierarten erhoben, darunter auch Wildbienen. Bei der zweiten Erhebung 2018 zeigte sich, dass 17 Wildbienenarten verschwunden waren.» Als Grund dafür vermutet er die starke Zunahme der Honigbienen im urbanen Raum aufgrund der beliebten Hobby- und Stadtimkerei. «Die Honigbienen konkurrieren mit den Wildbienen um Nahrung, erbringen aber häufig eine schlechtere Bestäuberleistung, weil die Blüten vieler Pflanzen nur auf bestimme Bienenarten zugeschnitten sind. In grosser Zahl schaden die Honigbienen damit der Biodiversität.» Die öffentliche Hand habe dieses Problem bisher nicht erkannt und tue zu wenig gegen die zu hohe Honigbienendichte, sagt er. «Das hat mich und ein paar Kollegen vor vier Jahren dazu bewogen, die IG Wilde Biene zu gründen.» Ihr Ziel: Auf die Bedrohung der Wildbienen aufmerksam machen, sie aktiv schützen und fördern. Zum Beispiel mit «Pocket Parks». «Die Stadt Zürich stellt unserem Verein kleine, für die Öffentlichkeit zugängliche Grünflächen pachtfrei zur Verfügung, damit wir sie wildbienengerecht aufwerten und pflegen können», erklärt André Rey das Konzept. Sechs solcher «Pocket Parks» an verschiedenen Orten in der Stadt hat die IG Wilde Biene schon unter ihren Fittichen, und es werden weitere dazukommen. Auch ausserhalb von Zürich. Dietikon und Kloten haben ebenfalls Interesse angemeldet, zusammen mit dem Verein Grünflächen wildbienenfreundlich umzugestalten.

Es braucht aber nicht nur die öffentlichen Akteure, um Wildbienen zu fördern. «Jeder von uns, egal ob vor dem Fenster, auf dem Balkon oder im Garten, kann einen Beitrag leisten.» Er selber habe in seiner alten WG nur einen kleinen Blumenkasten mit ein paar Küchenkräutern am Fenster gehabt. «Als die Kräuter aufblühten, wimmelte es vor Wildbienen und anderen Insekten – und das, obwohl das Haus an einer verkehrsreichen Strasse stand.» Um Wildbienen zu fördern, braucht es vor allem eins: die richtigen Pflanzen. Hier kommt der «Bee-Finder» ins Spiel, eine Web-Applikation, welche die IG Wilde Biene lanciert hat. Das Ganze ist simpel: Man gibt seine Adresse ein, ob es sich um einen Balkon oder Garten, um eine sonnige oder schattige Lage handelt. Schon erhält man eine Liste mit den Wildbienenarten, die in diesem Raum vorkommen, und eine Auswahl ihrer Nahrungspflanzen, die sich für diesen Standort eignen. Wer neben André Reys Büro wohnt, könnte ganze 90 Wildbienenarten fördern – sie fühlen sich sogar an der Langstrasse wohl. «Wir haben es in der Hand, dass das so bleibt.»


Dieses Porträt erschien im April 2024 im Magazin Bioterra. Titelbild: Stefan Walter

Über die Autorin

Schreiben, zuhören, recherchieren, hinterfragen, Geschichten widergeben, Zusammenhänge verstehen und erklären: Das mache ich schon seit bald 20 Jahren. Als Geojournalistin verbinde ich das journalistische Handwerk mit dem Hintergrundwissen, das ich mir im Geografiestudium und darüber hinaus im Bereich Umwelt und Naturwissenschaft angeeignet habe. Wenn ich nicht recherchiere oder schreibe, bin ich mit meinem Hund in der Natur, backe Sauerteigbrot, unterrichte Pilates oder fotografiere, am liebsten Insekten.

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Isabel Plana | Bild: Florian Schulz

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